Im September zog es mich noch einmal nach Tallinn. Neben kulinarischen Highlights in diversen großartigen Restaurants hatte ich eine Idee: Die finnische Hauptstadt Helsinki liegt gerade mal 80 Kilometer entfernt – perfekt für einen spontanen Abstecher über die Ostsee!
Zwischen Helsinki und Tallinn herrscht reger Fährverkehr. Alle zwei Stunden legt eine der gigantischen RoRo-Fähren ab und verbindet die beiden Hauptstädte miteinander. Die Strecke wird hauptsächlich von zwei Reedereien bedient: Tallink Silja und Viking Line, wobei ich mich für die „Megastar“ von Tallink entschieden habe.
Diese schwimmenden Städte sind ein echtes Erlebnis – nichts im Vergleich zur beschaulichen kleinen Fähre zwischen Ameland und Holwerd, die ich kenne. Die Megastar beispielsweise ist 212 Meter lang, kann 2.800 Passagiere transportieren und läuft mit umweltfreundlichem LNG-Antrieb. Beeindruckend!
Das Beste: Eine einfache Hin- und Rückfahrt gibt es bereits ab 40 Euro. Für eine knapp zweistündige Überfahrt pro Strecke ist das mehr als fair. Wer es komfortabler mag, kann auf Tarife mit Business Lounge, Buffet und Freigetränken upgraden. Da die Verbindung auch intensiv von Geschäftsleuten genutzt wird, lassen sich sogar Konferenzräume für die Überfahrt buchen – produktives Pendeln auf hoher See sozusagen.
Aber ehrlich gesagt: Die meisten Passagiere haben andere Prioritäten. Shopping und Alkohol stehen hoch im Kurs. Ein komplettes Deck ist als DutyFree-Shopping-Center gestaltet, auch wenn die Preise beim genaueren Hinsehen gar nicht so spektakulär sind – außer vielleicht für Finnen, die sich hier mit günstigerem Alkohol eindecken.
Ein anderes Deck besteht praktisch nur aus Restaurants und Bars. Als ich um 10 Uhr morgens an Bord ging, waren die Bars bereits gut gefüllt und die ersten Biere im Umlauf. Klassiker! Kurz vor der Ankunft in Helsinki gibt’s dann eine Durchsage, dass der Alkoholverkauf in 15 Minuten eingestellt wird – was prompt zu einem letzten Run auf die Theken führt. Maritime Tradition trifft auf nordische Trinkkultur.
Pünktlich um 12 Uhr legte die Fähre am Westhafen an. Ursprünglich wollte ich in die Stadt spazieren, aber die Hafenumgebung entpuppte sich als ziemlich industriell. Kurzerhand habe ich mir ein Bolt geschnappt – innerhalb von drei Minuten war das Auto da, und nach zehn Minuten und lächerlichen 4 Euro später stand ich in der Innenstadt unweit der Uspenski-Kathedrale.
Von dort startete meine vorab bei GetYourGuide gebuchte Hop-On-Hop-Off-Tour. Ja, ich weiß – absolutes Touristen-Klischee! Aber mal ehrlich: In kurzer Zeit bekommt man nirgendwo sonst so viel von einer neuen Stadt zu sehen. Außerdem kann man jederzeit aus- und wieder zusteigen, wenn etwas besonders interessant aussieht.
Helsinki und ganz Finnland haben eine faszinierende Geschichte hinter sich. Finnland ist erst seit 1917 unabhängig – vorher stand das Land jahrhundertelang unter schwedischer (bis 1809) und anschließend unter russischer Herrschaft (als Großfürstentum bis 1917). Beide Mächte haben deutliche Spuren hinterlassen, was man überall in der Stadt sehen kann.
Besonders spannend: Im Kalten Krieg balancierte Finnland geschickt zwischen den Fronten. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA warben um das kleine Land, und die Finnen schafften es meisterhaft, ihre Neutralität zu wahren – ein diplomatischer Drahtseilakt, der als „Finnlandisierung“ in die Geschichtsbücher einging. Diese pragmatische Haltung prägt das Land bis heute.
Architektonisch ist Helsinki ein bunter Mix. Es fühlt sich an, als hätten sich verschiedene Epochen hier ausgetobt und nebeneinander verwirklicht. Neoklassizistische Prachtbauten rund um den Senatsplatz (entworfen vom deutschen Architekten Carl Ludwig Engel) treffen auf prächtige Jugendstil-Fassaden, orthodoxe Zwiebeltürme und kühne moderne Architektur.
Aber laut meiner Stadtführerin hat niemand Helsinki so geprägt wie Alvar Aalto, Finnlands „Quasi-Nationalarchitekt“. Dieses Design-Genie entwarf nicht nur ikonische Gebäude wie das Finlandia-Haus, sondern auch weltberühmte Möbel – seine wellenförmige Aalto-Vase kennt vermutlich jeder. Beeinflusst vom Bauhaus, schuf er einen eigenen organischen Modernismus mit warmen Materialien und fließenden Formen. Seine Werke gefallen mir ziemlich gut – klare Linien, die trotzdem nicht kalt wirken.
Die Tour dauerte gut zwei Stunden bei strahlendem Sonnenschein. Der Platz auf dem offenen Oberdeck des Doppeldeckers war perfekt. Was mir besonders auffiel: Für eine Hauptstadt ist Helsinki erstaunlich grün. Überall Parks, Freiflächen und natürlich jede Menge Wasser. Riesige Kreuzfahrtschiffe legen praktisch mitten in der Stadt an und entlassen ihre Horden kaufwütiger Touristen direkt ins Zentrum.
Nach der Tour bin ich im Zentrum ausgestiegen und ließ mich noch ein bisschen durch die Straßen treiben, bevor ich zu meiner Verabredung aufbrach.
Die Base Bar ist der Treffpunkt der Helsinkier Turbojugend-Szene. Ein solider Rockschuppen mit entsprechendem Dekor, sympathischer Thekenmannschaft und ausreichend Bier – genau wie es sich gehört. Hier hatte ich mich locker verabredet, und nach und nach trudelten einige Sailorettes und Sailor ein. Ein lustiger Tagesausklang mit guten Gesprächen und kühlen Getränken.
Leider konnte ich nicht allzu lange bleiben – kurz nach neun musste ich schon wieder Richtung Hafen. Dann zurück aufs Schiff und ab ins Hotel nach Tallinn.
Ehrlich gesagt hat mich die Stadt nicht so geflasht wie andere Städte auf meinen Reisen. Sie wirkt architektonisch etwas wild zusammengewürfelt, irgendwie ohne klare Linie. Aber fairerweise war ich auch nur netto vier Stunden wirklich in der Stadt unterwegs – vielleicht zu kurz, um Helsinki wirklich kennenzulernen.
Ausgeschlossen ist eine Rückkehr definitiv nicht. Allein schon wegen der Bar.